Dolomiten, Dienstag, 30.04.2019

FRÜHJAHRSKONZERT: Die Musikkapelle Naturns lässt Spanien im Marschtempo wieder aufblühen (C. F. Pichler)

Beim Frühjahrskonzert in Naturns ist heuer Spanien auf dem Programm, wobei der eloquente Kapellmeister Dietmar Rainer vorweg eine Einführung vor glatt 70 Zuhörern hält.
In den Militär-Orchestern in Spanien spielten bis zu 200 Musikanten hauptsächlich nationale Musik. Die Blasmusik zu fördern, war ein Anliegen des Franco-Regimes: „In den Blasorchestern spielten 8 bis 10 Celli und Kontrabässe, um einen weichen runden Klang zu erzeugen“, so Dietmar Rainer, der jedes Stück besonders das Hauptstück „Entornos“ von Armando Blanquer Ponsada (1935-2005) musikalisch nach „Themen, Seitenthemen mit melodischen Überraschungen, Veränderungen“ erläutert. Das Polyrhythmische und Polytonale über mehrere Tonarten gleichzeitig wird „zu einer Musik, die sich gerne hört!“ „Entornos“ (Umgebungen) wird mit seiner sehr delikaten Orchestrierung zum angerührten Geborgensein. Wenn etwa die Klarinetten in allen Registern ihre intonierte Gemeinsamkeit mit schwierigen Läufen reüssieren, bis ein Choral die Raumklangmagie des Saales auffüllt, sobald alle Gruppen sich brillant verselbstständigen. Im „Lento“ verspürt sich eigenartige Trauer in Wechseltöne der Klarinetten, Oboen und ganz melancholisch in den Fagotten, aber auch im tiefen Blech werden die Klagelaute fein artikuliert. Rainer sorgt für beherzte Phrasierungen, sodass im Schlusssatz die Freude des spanischen Kolorits im Marschtempo nicht einfach drauflos zischt, sondern wandernd musiziert wird und wie!
Die großartige Soloflötistin stiftet einen Soloreigen an – sehr impulsiv das ganze Holz – prima ist der Solotrompeter, ja, überhaupt das hohe Blech, wenn die Übrigen mit einem Geschnatter von Trillern innbrünstig begleiten. Toll ist das sequenzierte füllige Spiel der Blechbässe bis zum schwelgenden Kontinuum, wenn die Trompeten mit den Posaunen stehend die Schlussfanfare spielen. Doch Dietmar Rainer lässt diesen Blechschall so sensibel spielen, dass auch die anderen Stimmen (Holzbläser) gut herauszuhören sind.
Übrigens moderiert Judith Leiter mit viel Verve das Konzert; sie erzählt, sie erklärt jedes Stück und dessen Geschichte. Es beginnt ja mit der Rossini Ouvertüre „Il barbiere di Siviglia“ bei genussvollem Staccato-Spiel im flüssigen Vorwärtstreiben, aber mit Rücknahme, denn Rainer ist stets bedacht, dass die Soli – Hörner, Fagotte oder Oboen – auch im Hauptthema nicht vom sehr wohl tollen Tuttiklang verschlungen werden. Guter Rossini und nicht weniger „Palindromía Flamenca“ von Antonio Ruda Peco mit dem Sopransaxophon von Andreas Lamprecht, der Gitarre mit Anna Weithaler und dem Cajon (Holzschlagwerk) mit Loris Gitterle. Zwischen Wehmütigen und Ausrastenden hören wir katschende Hände, die Melodie des Saxofonisten, nur wenig die Gitarrenakkorde zunächst und die Suada am Cajon, doch im Terzett ohne Dirigent hört sich das wundervolle Gitarrenspiel ganz sinnlich und fein an mit dem Saxofon, ehe alles in einer orgiastischen Sause endet.
Nun nach dem erwähnten Hauptstück hören wir eine gewalzert marschartige „Auflockerung“ (Judith Leiter) „Paso doble“ des Holländers Hardy Mertens. Dietmar Rainer dirigiert ein sehr feines Ritenuto, aber was ist bei dieser Musik spanisch mit viel euphonischer Melodie?
Die „Fifth Suite“ von Alfred Reed ist dagegen ein Meisterstück, herrlich orchestriert mit rhythmisch jazzigen Etüden aufgeteilt mustergültigen Soli, die so gespielt auch immer neue Gefühle ausdrücken. Rainer dirigiert hochmusikalisch, da er Stimme für Stimme hervorhebt. Das hat Klasse!
Der japanische Teil ist nicht sonderlich orientalisch koloriert, jedoch die spanische „Hora“ wirkt frech aufgetanzt, ist ungemein schwer zu spielen, aber die Naturnser machen das schon, sodass jede Gruppe ihren Sonderapplaus bekommt. In „La Mosca“ von Oscar Navarro fliegt eine Traumwelt mit dissonanten Trillereien und lustigen Fliegenfängern durch den Saal. Es ist jedoch ein schweres verrücktes Stück mit gebrochenen Akkorden á la Strawinsky und wird gut gemacht. Mit Dietmar Rainer, der mit einem roten Fliegenklatscher dieses Insekt zerklatschen will, ist dies eine Musik, die sich auch sehr gerne hört!